Das Wildmeerschweinchen (Cavia aperea)
oder „Die Wilden“
Die wilden Verwandten unserer Hausmeerschweinchen sind ihnen ziemlich ähnlich, aber doch auch völlig anders. Lange nahm man an, dass das Cavia aperea tatsächlich der nächste Verwandte unserer Hausmeerschweinchen ist, doch neueste Hinweise deuten darauf, dass unsere Hausmeerschweinchen vom Tschudi-Meerschweinchen abstammen.
Über die wild lebenden wilden Verwandten kann ich keine Angaben machen, doch sehr wohl über die kleine Gruppe, die bei uns lebt. Unsere Wildmeerschweinchen haben etwa eine Größe von 20 bis 30 cm Körperlänge und wiegen durchschnittlich ein Drittel bis die Hälfte eines Hausmeerschweinchens.
Insgesamt sind unsere Wildmeerschweinchen viel schlanker und hochbeiniger im Vergleich zu ihren domestizierten Verwandten. Die Weibchen bekommen auch keinen ausgeprägten Bauch, wenn sie trächtig sind. Eine genaue Betrachtung lässt eine Trächtigkeit vermuten, da das Weibchen etwas fülliger wirkt. Der Kopf ist länger, nicht gebogen und deutlich schmaler. Die Ohren sind klein, sehr hoch angesetzt und legen sich nahezu an den Kopf an. Der Gehörgang ist offen.
Die Beine wirken länger und dünner, besitzen dabei die gleiche Zehenanzahl wie unsere Hausmeerschweinchen.
Die Fellfarbe würde ich mit schwarz-weiß bis schwarz-creme agouti bezeichnen. Es wird oft behauptet, dass die Wildmeerschweinchen nur eine Farbe zeigen, doch sie zeigen im agouti deutliche Farbvarianten. Deutlich zu sehen sind auch die langen Grannenhaare, welche bei Gefahr (Feind, Menschenhände) sofort abgeworfen werden. Die Grannenhaare werden zuerst abgeworfen, danach folgen die kürzeren Haare, bis sich schließlich unbehaarte Stellen zeigen. Hat man die Tiere in der Hand, fallen sie sofort in die oft beschriebene Schockstarre. Ein Verhalten, welches wir unseren Hausmeerschweinchen gerne andichten, aber von diesen tatsächlich weit weniger bis selten gezeigt wird.
Die Trächtigkeit liegt bei durchschnittlich 70 Tagen und die Weibchen können ebenfalls sofort nachgedeckt werden. Die Geburt verläuft unblutig. Bei den Wurfgrößen liegen wir zwischen 2 bis 5 Tieren, bei einem Geburtsgewicht von 50g bis 70g. Die Welpen sind ebenfalls sofort unterwegs und erkunden das Gehege auch ohne Mutter, wobei bei größeren Spaziergängen die Welpen zwischen den Alttieren geführt werden.
Mit spätestens drei bis vier Wochen geht der Altbock ziemlich aggressiv auf die Jungböcke los. Er nimmt keine Rücksicht und kann die Jungböcke durchaus schwer verletzen. Eine Trennung bringt nur bedingt etwas, denn der Altbock geht auch über Hindernisse von 70cm Höhe. Um zu seinem Rivalen zu kommen, fangen die Altböcke auch an, Löcher zu graben, um ihr Ziel zu erreichen.
Die Lautäußerungen sind ähnlich wie beim Hausmeerschweinchen, nur fehlt das uns so bekannte Quieken völlig. Grundsätzlich sind Wildmeerschweinchen aber ziemlich still.
Oft wird beschrieben, die Wildmeerschweinchen seien dämmerungsaktiv. Dies stimmt nur bedingt. Sie sind morgens und abends aktiver, aber sie liegen auch mittags in der Sonne, weit ab von ihren Unterkünften, und beobachten uns.
Da unsere Wilden in der Voliere unserer Hörnchen leben, nutzen sie auch deren Laufrad. Wir waren sehr verwundert, aber man steht dort regelrecht Schlange oder läuft zu viert im Rad. Ich denke nicht, dass so ein Laufrad ein „must have“ ist, aber doch sicherlich eine nette Abwechslung.
Jungtier im Laufrad der Hörnchen.
Die "Dicke" ist hochträchtig, eine Woche vor dem Wurf.
Die Ernährung der Wildmeerschweinchen ähnelt der unserer Hausmeerschweinchen, jedoch fressen die Wilden im Vergleich zu ihrer geringeren Körpergröße erheblich mehr.
Heu sollte stets in großer Menge zur Verfügung stehen. Gras, Löwenzahn und Co. wird sehr gerne genommen. Gurke ist bei uns der absolute Renner, dicht gefolgt von Paprika. Möhre wird nur im Notfall gefressen. Andere Gemüse und Obst werden ebenso gefressen, jedoch sind auch da die Geschmäcker verschieden. Das normale Trockenfutter (bei uns Pellets) wird ebenfalls gefressen. Trockene Blüten oder Kräuter werden nur in geringen Mengen angenommen. Leckereien wie Rote Bete-Kissen oder Karottenkissen werden sehr gerne genommen.
Wasser bieten wir in der Flasche und im Napf an, wobei die Wilden nur sehr wenig trinken, dann aber aus dem Napf.
Im Verhalten sind die Wilden eher ruhig, auch wenn man das nicht vermuten würde. Sie versuchen, die Situation auszusitzen und flüchten nur im äußersten Notfall. Im Gegensatz zu unseren Hausmeerschweinchen wirkt diese Flucht überlegter und ruhiger. Nicht unterschätzen darf man die enorme Sprungkraft dieser kleinen Tiere. 50 bis 70cm überwinden sie leicht in einem Satz. Daher ist eine Haltung im Käfig, oder gar in einer Bucht, nicht möglich. Die Wilden sind nahezu stubenrein, jedoch riecht der Urin stark, was gegen eine Haltung im Haus spricht.
Wenn man den Tieren die Möglichkeit gibt, ihre Umgebung zu beobachten, fragt man sich nach einiger Zeit, wer wen beobachtet. Findet man heraus, was die Wilden gerne mögen, so ist es durchaus möglich, sie futterzahm zu bekommen. Insgesamt sind die Wildmeerschweinchen wesentlich intelligenter als ihre zahmen Verwandten. Sie finden jedes Schlupfloch und überlegen sich genau, welchen Weg sie gehen können und welchen Gegenstand sie als Treppe nutzen können.
Mittlerweile haben wir die Haltung der Wilden auslaufen lassen. Es war eine sehr, sehr schöne Zeit, aber man muss nicht alles haben!